2016 / 17. Oktober

Blog zur Exchainge: Compliance beginnt beim Frühstück


Quelle: Blog EXCHAiNGE | Exchainge

Haben Sie schon mal nach den Begriffen Supply Chain Blog gegoogelt? Oder Logistics Blog? Ergebnis: 85.000.000 bzw. 96.900.000 Treffer. Wow. Warum dann noch einen Blog zu diesem Thema? Die Antwort liegt im Konzept der EXCHAiNGE. In diesem Blog werden EXCHAiNGE Blogger die grundlegenden Ideen der Veranstaltungen weiterführen – denn die EXCHAiNGE ist mehr als nur eine Fachkonferenz, die nur einmal im Jahr stattfindet. Einfach jetzt reinlesen. Abonnieren. Und mitdiskutieren.

Compliance beginnt beim Frühstück

14.10.2016

Ein Gastbeitrag von Sabine Ursel, Kommunikation I Presse I Netzwerk
Journalistin und Kommunikationsberaterin, Wiesbaden (Fokus Einkauf/Vertrieb)

In den Unternehmen geistert ein Begriff durch die Flure … Compliance! Deutung und Ausprägung ist allerdings so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Während in Konzernen gefühlt Heerscharen emsig bemüht sind, jede kleine Ecke des ohne Frage komplexen und bedeutsamen Themas zu beleuchten, gilt in anderen Firmen eine mehr oder minder ausführliche Reiskostenrichtlinie schon als „Compliance-System“. Um es deutlich zu sagen: Auch vor dem Einsickern des englisch-geschmeidigen Begriffs „Compliance“ (deutsch-sperrig: Regelkonformität) hatten Vorstand und Geschäftsführung ihre Hausaufgaben zu leisten. „Dass Nichteinhaltung von Regeln zu Unternehmensstrafen, Bußgeldern, Gewinnabschöpfung oder dem Verfall des durch den Gesetzesverstoß erzielten Gewinns führt“ (Zitat Wikipedia), ist keine neue Erkenntnis. Heute tragen Unternehmenslenker allerdings weitaus mehr Verantwortung für Risiken aller Art als noch vor zehn Jahren. Bestrafung für Vergehen erfolgt immer öfter, die Höhe der Geldbußen steigt. Beispiel USA: Hier steht insbesondere die Automotive-Branche unter dem Brennglas. 64 Unternehmen bekannten sich in Sachen Preisabsprachen in der Kfz-Teileindustrie schuldig. Die Bundesanwälte haben zuletzt 65 Personen angeklagt, 29 Executives ins Gefängnis geschickt und Strafen in Höhe von 2,8 Milliarden US-Dollar verhängt. Die EU-Kommission hat MAN, Volvo / Renault, Daimler, Iveco und DAF Mitte des Jahres Kartellvergehen nachgewiesen. Resultat: 3 Milliarden Euro Rekordstrafe.

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Die Digitalisierung verleiht dem Komplex eine ganz neue Dimension, auch im Supply Chain Management. Wir sollen uns vernetzen, am besten 360 Grad. Wir schaffen Crowd-Lösungen, fordern disruptive Ideen. Müssen Lieferanten einbinden, Vertrauen aufbauen und abfordern. Und das alles revisionssicher und nach klaren Regeln des (deutschen) Rechts- und Ordnungsverständnisses. Was ist das richtige Maß, das uns Supply Chainer weiterbringt? Fragen über Fragen stehen ins Haus: Wie gehen wir innerhalb und außerhalb des eigenen Landes mit unterschiedlichen Compliance-Strukturen der (potenziellen) Geschäftspartner um? Wie bewerten wir anderes (Unrechts-)Bewusstsein und andere Rechtsgrundlagen? Wie gehen wir im globalen Wettbewerb mit einem anderen Verständnis von „Annäherung“ an Kunden um? Hinzu kommt ein Wust neuer ungelöster Fragen auf der Roadmap 4.0: Werden sich jemals alle undichten Schnittstellen entlang unzähliger IT-Schnittstellen kitten lassen? Wie regeln wir den Austausch sensibler Daten über Landesgrenzen hinweg? Wie machen wir künftig Verhältnisse zwischen Mensch und Maschine bzw. zwischen Maschinen vertragssicher und rechtskonform? Antworten und Lösungen ziehen weder Unternehmenslenker noch Berater mal eben aus der Tasche. Das verunsichert viele, insbesondere in KMU. Die schlechte Nachricht: Entwarnung ist nicht in Sicht! Aussitzen ist keine Lösung (mehr), wie auch die Diskussion der EXCHAiNGE-Fachkonferenz („Compliance – Korruption? Nein danke!“) am 6. Oktober 2016 in Frankfurt zeigte.

Die spannenden Vorträge machten zumindest im Ansatz deutlich, dass der („richtige“?) Umgang mit Compliance beileibe kein banales Projekt mit Start und Finale ist. Aber: Wer allzu professionell vorgehen will und mit Hingabe für alle Eventualitäten Regeln mit zig Fußnoten und Appendixen aufstellt, dringt langsam aber sicher in Sphären vor, wo sich Mitarbeiter aufgrund der Detailflut verunsichert und demotiviert fühlen. Schnelles Vorankommen und Entscheiden im Unternehmen – in der Digitalisierung oberste Pflicht – wird so massiv behindert. Freidenkern nimmt es die Luft zum Atmen. Wer hingegen zu wenig regelt, provoziert und riskiert allzu laschen Umgang mit Delikatem, verhindert Awareness und Bewusstseinsbildung. Und: bringt sein Unternehmen in Gefahr.

Fazit nach eineinhalb Stunden Diskussion während der EXCHAiNGE: Compliance-Systeme dürfen nicht so breit angelegt und überfrachtet werden, dass andere Unternehmen keine Chance auf eine Geschäftspartnerschaft haben. „Konzerne trachten danach, möglichst alle Risiken zu vermeiden – Start-ups suchen hingegen nach Chancen“, so lautete eine markante These, aufgestellt von Gründer und Geschäftsführer Sebastian Grethe (Mapudo GmbH, Venture-Capital-finanziertes Marktplatz-Start-up für Industrie-Werkstoffe). Axel Springers Compliance-Chef Alexander Schröder plädierte für die Förderung eigenverantwortlichen Handelns und die Vermeidung „misstrauischer Kontrolle“. Sein Rat: Fokussierung auf Rahmenvorgaben und ein Mindestmaß an Überwachung.

Wer die richtige Formel für ein wirksames und erfolgreiches Compliance-Management finden will, muss freilich die Thematik in ihrer Vielfalt verstehen und bereit sein, auch Kniffliges eindeutig zu klären, für das es derzeit offenbar noch keine Patentlösungen gibt. Etwa: Wie lässt sich verhindern, dass man Verantwortlichkeiten auf Geschäftspartner abwälzt? Wie passen Incentive-Regelungen und Compliance zusammen? Wie geht man mit den Kaskaden der Sublieferanten in Ländern wie Pakistan oder Vietnam um? Kernfragen sind immer: Was muss man, was kann man? Was steht ohnehin im Gesetz und wo darf man bei Mitarbeitern gesunden Menschenverstand voraussetzen?

Der gesunde Menschenverstand besagt, dass auch vermeintlich harmlose Vergehen – Kategorie „Kavalier“ – Konsequenzen nach sich ziehen. Nämlich dann, wenn Revision/Buchhaltung genauer hinschauen, aus welchem Grund auch immer. Genau das wurde im vergangenen Dezember einem bekannten McKinsey-Berater zum Verhängnis. Wie jetzt bekannt wurde (Kündigungsklage des Automotive-Experten läuft), hatte bei dem Mann eine beanstandete Frühstücksquittung zur ad-hoc-Scheidung von den „Meckies“ geführt. Die „Bild am Sonntag“ berichtete als erstes Medium am 9. Oktober darüber. (Wir stellen uns an dieser Stelle vor: Frühstück für Zwei, wahrscheinlich Croissants, Lachs, Orangensaft, mehrere Cappucini in Höhe von kolportierten 70 Euro.) Die wahre Story hinter dem Rauswurf gilt es indes noch zu verifizieren (wie gesagt: Verfahren läuft …), dennoch zeigt das Beispiel: Wer falsche Angaben zu seinen Mitessern macht, muss sich im Ernstfall fix nach einem anderen Job umsehen. Compliance beginnt schon beim Frühstück. Der Bogen spannt sich weit.

Die Digitalisierung fordert „den Menschen“ – uns allen – neue Denkmuster ab. Das schreibt und liest sich leicht, wird aber in der Praxis zur echten nie gekannten Kraftanstrengung. Wer sich zu öffnen versteht und der Kreativität Raum (auch zum Scheitern) lässt, wird mit motivierten Mitarbeitern und neuen Geschäftsbeziehungen belohnt. Egal welche Grundsätze, Regeln, Standards, Kodizes sich Unternehmen aller Größen im Orbit der digitalen Welt geben: Bevor Mitarbeitern „Systeme“, „Leitbilder, Missionen, Visionen“ und andere Kopfgeburten vorgesetzt werden, sollte eine ernst gemeinte Diskussion über menschliche Werte und ethisches Selbstverständnis die solide Basis bilden. Werte sind analog und sie sollten es tunlichst bleiben. Die EXCHAiNGE 2017 wird darauf sicher zurückkommen.

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Alles zur Fachkonferenz Exchainge 2016

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