2017 / 11. April

Digitalisierung: „Wir brauchen Impulsgeber, keine Besserwisser“


Das Hypethema „4.0“ schürt Unsicherheit in den Unternehmen. Informationsüberfluss sensibilisiere zwar für technologischen und technischen Fortschritt, vernachlässige aber die sozialen Komponenten, mahnt Walter Braun. In meinem Interview für das Magazin „Beschaffung aktuell“ redet der Psychologe Klartext: Fehlende Orientierung führe zu blindem Loslegen und Hauruckentscheidungen. Auch Zaudern sei hinderlich. Braun sagt, wie Unternehmen und Einkauf lernen, mit Komplexität und unberechenbaren Größen umzugehen.

Das Interview führte Sabine Ursel
Foto(s): Jochen Günther

Das gesamte Interview in der „Beschaffung aktuell“ (April 2017) lesen Sie hier …

 

Hier Auszüge

Beschaffung aktuell: Was stört Sie an der derzeitigen Informationsflut in Sachen „4.0“?

Walter Braun: Es werden zu viele Bedrohungsszenarien aufgebaut nach dem Strickmuster: „Wenn du nicht schnell darauf reagierst, wirst du zu den Verlierern gehören.“ Angst ist ein schlechter Anlass, über Änderungen nachzudenken. Damit gibt man Regiemöglichkeiten aus der Hand, mit denen sich Menschen auf Neues, Unerwartetes und Besorgniserregendes besser einstellen können. Die Informationsflut sensibilisiert zwar für technologischen und technischen Fortschritt, vernachlässigt aber die soziale Komponente. Was machen neue Arbeitsformen mit Menschen? Welche langfristigen Auswirkungen haben sie auf Persönlichkeit und Personalentwicklung?

Beschaffung aktuell: Also sind zu viele Mahner und Besserwisser unterwegs, etwa Berater und Journalisten?

Braun: Auf jeden Fall zu viele Interessensvertreter in eigener Sache. Die einen wollen Geschäft machen, die anderen Auflage. Die kaum berechenbare Wirtschaftswelt benötigt Impulsgeber, keine Besserwisser. Es gilt, Traditionen aufzubrechen. Das unterstützen Wirtschaftspsychologen besser als klassische Berater, die ja ein anderes Geschäftsmodell haben und vorrangig auf Kennzahlen und Abarbeiten von Checklisten setzen.

Beschaffung aktuell: Müssen Leader ihre Rolle neu verstehen lernen?

Braun: Sollte das alte Rollenbild ‚Command und Control‘ vorherrschen, muss es dringend in Richtung eines Orientierungshelfers revidiert werden. Dieser sollte Impulse vermitteln, aber auch das Potenzial seiner Mitarbeiter wecken. Seine Rolle besteht dann darin, die Selbstführungsfähigkeit seiner Leute maximal zur Entfaltung zu bringen und sich einzureihen ins Team. Helden einer allwissenden Führung sind fehl am Platz.

Beschaffung aktuell: Wissen Geschäftsleitung und HR, welche Rolle ihnen zukommt?

Braun: Ich glaube schon, sie sind aber gegebenenfalls Opfer ihrer etablierten Systeme. Einmal eingeführte Systeme neigen zur Immunität. Es ist zu wenig, Mitarbeiter in der Fähigkeit im Umgang mit Komplexität zu schulen oder ihnen Selbstführung zu vermitteln. Wenn nicht gleichzeitig passende Handlungsspielräume vorliegen, sinkt der Wirkungsgrad dieser Maßnahmen signifikant.

www.beschaffung-aktuell.de

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